Von Tränen zu Vertrauen

Ein traumasensibler Ansatz für Therapie-Übergaben

Trennungsangst bei autistischen Kleinkindern mit Sicherheit, Struktur und Feingefühl begleiten

Der Blick aufs Ganze

Trennungsangst ist kein Zeichen von Scheitern. Sie ist ein ganz normaler Teil der Entwicklung – und eine Einladung, Vertrauen aufzubauen. Gleichzeitig lohnt es sich immer, innezuhalten, wenn dein Bauchgefühl sagt: Irgendetwas stimmt hier nicht.

Ein Wort zur Sicherheit: Du hast deine Hausaufgaben gemacht

Wenn der Abschied schwerfällt, bedeutet das nicht automatisch, dass etwas mit dem Therapieraum nicht stimmt. Aber manchmal eben doch. Wenn der Ort sich für dein Kind nicht emotional sicher, nicht feinfühlig oder nicht willkommen anfühlt – oder du dich als Elternteil nicht gesehen, nicht respektiert oder außen vor fühlst – dann ist das wichtig. Kummer ist ein Signal. Vertrau dir. Wenn du aber spürst, dass dein Kind in guten Händen ist und du eine vertrauensvolle Beziehung zur Fachkraft hast, dann kann dir dieser Leitfaden helfen, die Brücke zu schlagen – von Angst zu Vertrauen, vom Klammern zum Mut.

Ein integrierter Ansatz: ABA trifft Circle of Security

Dieser Leitfaden verbindet zwei bewährte Perspektiven:

  • die strukturierte, evidenzbasierte Herangehensweise der Angewandten Verhaltensanalyse (ABA)
  • mit der bindungsorientierten Tiefe und Beziehungskompetenz des Circle of Security (COS)

Was bringt ABA? Klarheit, Verlässlichkeit, gezielte Verstärkung.

Was bringt COS? Empathie, Präsenz und die Einladung zur Co-Regulation.

Das ist kein entweder oder. Es ist Struktur mit Sanftheit. Erwartungen mit Einfühlung.

Die 5 Schritte

Schritt 1: Vorbereiten mit Vorhersehbarkeit & emotionaler Verbindung

  • COS-Fokus: Größer, stärker, weiser & freundlich sein – Sicherheit spürbar machen, noch bevor der Abschied beginnt
  • ABA-Fokus: Antezedenz-Planung – den Boden bereiten durch Rituale und Klarheit

Wenn dein Kind weiß, was es erwartet, muss es sich nicht innerlich wappnen.
Rituale schaffen einen weichen Boden – lange vor dem „Tschüss“.

Bindungsorientierte Unterstützung:

  • Nutze jeden Tag die gleiche Abfolge vor dem Abschied
  • Normalisiere Gefühle: „Manchmal ist es schwer, sich zu verabschieden. Das ist okay.“
  • Bleib selbstsicher: „Du schaffst das. Und ich komme wieder.“

Verhaltenstherapeutische Unterstützung:

  • Visualisiere den Ablauf mit echten Fotos (Auto, Therapeut:in, du, Zuhause)
  • Nutze ein einfaches Abschiedsritual (z. B. Umarmung + High Five + Winken oder ein Abschiedslied)
  • Kombiniere kurze Handlungsschritte: „Schuhe an“ (Schuhe übergeben), „Los Auto“ (Autositz berühren)

Beispiel-Satz: (Zeigend auf den Plan) „Fahren – Therapie – Mama kommt wieder – Snack.“

Schritt 2: Die Trennung sanft und schrittweise gestalten

  • COS-Fokus: Du bist die sichere Basis – Bleib in der Nähe, während dein Kind sich vorsichtig löst
  • ABA-Fokus: Systematische Desensibilisierung – Unterstützung langsam abbauen, Selbstständigkeit fördern

Du drückst dein Kind nicht weg – du lädst es ein.
Du bleibst ruhig und zugewandt, während es in seinen Mut hineinwächst.

Bindungsorientierte Unterstützung:

  • Setz dich in die Nähe und bleib reguliert
  • Gib nonverbale Rückversicherung (Blickkontakt, offene Körperhaltung)
  • Nutze Fotos oder Übergangsobjekte als Sicherheitsanker

Verhaltenstherapeutische Unterstützung:

  • Zeige paralleles Spiel mit der Therapeut:in
  • Verwende sanfte, bekannte Signale: „Du bist sicher. Ich bin in der Nähe.“
  • Schrittweises Verabschieden:
    1. Im Raum bleiben (5 Min)
    2. Zur Tür gehen
    3. Kurz rausgehen
    4. Ritual abschließen und gehen

Beispiel-Satz: (Neben dem Kind, zeigend auf Therapeut:in) „Spielen… Ich bin hier.“ (Später) „Jetzt bleibst du. Mama kommt wieder.“

Schritt 3: Mut bestärken & innere Sicherheit aufbauen

  • COS-Fokus: Sich am Entdecken deines Kindes freuen – Sicherheit und Stolz spiegeln
  • ABA-Fokus: Erwünschtes Verhalten gezielt verstärken – Gesehenes positiv rückmelden

Wenn dein Kind deine Freude spürt, wächst das Vertrauen – auch in sich selbst.
Selbstbewusstsein entsteht durch gespürte Sicherheit.

Bindungsorientierte Unterstützung:

  • Lächeln, High Five, Daumen hoch
  • Hand aufs Herz oder offene Arme zur Bestärkung

Verhaltenstherapeutische Unterstützung:

  • Sichtbares Lob (z. B. Karte „Du hast das geschafft!“)
  • Kleine Fortschritte feiern: Spiel beginnen, ruhig bleiben, Kontakt teilen
  • Verstärker gezielt einsetzen: „Du bist geblieben – jetzt kommen die Seifenblasen!“

Beispiel-Satz: (Sanft, mit Blickkontakt) „Du hast gespielt. So mutig. Ich hab das gesehen.“

Schritt 4: Mit Klarheit und Ruhe auf Kummer reagieren

  • COS-Fokus: Dein Kind am unteren Ende des Kreises abholen – Co-Regulation statt Retten oder Wegreden
  • ABA-Fokus: Herausforderndes Verhalten mit Klarheit beantworten – Kummer nicht unbewusst verstärken

Kummer ist kein Problem, das du „lösen“ musst – sondern ein Signal: Bleib ruhig. Bleib klar. Bleib da.

Bindungsorientierte Unterstützung:

  • Zeige „Ich sehe dich“ durch Geste (Hand aufs Herz), sanftes Nicken
  • Niemals heimlich gehen – verabschiede dich klar und ruhig
  • Sei kurz, klar und freundlich

Verhaltenstherapeutische Unterstützung:

  • Wenn dein Kind sich klammert, biete gezielte Ablenkung: „Ich sehe, das ist schwer. Hier ist dein Puzzle. Ich bin bald zurück.“
  • Nutze ein Objekt oder eine Geste, um Aufmerksamkeit umzulenken
  • Bleib sprachlich klar und ruhig

Beispiel-Satz: (Auf Augenhöhe, ruhiger Ton) „Du bist traurig. Mama geht. Du spielst. Ich komme zurück.“

Schritt 5: Wiederanknüpfen & die sichere Basis stärken

  • COS-Fokus: Zurück zum oberen Ende des Kreises – Wiedersehen, das repariert und beruhigt
  • ABA-Fokus: Generalisierung und Festigung – Unabhängigkeit über Zeit stabilisieren

Hier entsteht echte Bindungssicherheit: „Ich bin gegangen. Ich bin zurück. Du warst okay. Und ich bin wieder da.“

Bindungsorientierte Unterstützung:

  • Sei ruhig und verlässlich beim Wiedersehen
  • Folge dem Tempo deines Kindes: Nähe oder Abstand – je nach dem, was es braucht

Verhaltenstherapeutische Unterstützung:

  • Bestärke, was gelungen ist: „Du bist geblieben. Du hast gespielt. Das war mutig.“
  • Biete kleine Belohnung (Umarmung, Sticker, Lieblingslied)
  • Übe kurze Trennungen in anderen sicheren Kontexten

Beispiel-Satz: (Mit sanftem Lächeln oder Umarmung) „Siehst du? Mama ist wieder da. Wie versprochen. Du hast das geschafft.“

Zum Schluss: Was wirklich zählt

Es geht nicht um perfektes Elternsein. Es geht darum, immer wieder neu da zu sein – mit Klarheit, Freundlichkeit und Ruhe. Wenn du zur sicheren Basis für dein Kind wirst, können selbst die schwersten Abschiede zu einem Weg in mehr Vertrauen werden. Indem du die Struktur von ABA mit dem Herz von COS verbindest, schenkst du deinem Kind das Beste aus zwei Welten: eine Struktur, die Sicherheit gibt – und eine Sicherheit, die stark macht.